MORGENTLICHES RITUAL

Guten Morgen lieber Spiegel,

trüb den Blick nicht früh am Tag.

Lass die Haut sich zeigen nicht zu tief in Falten,

und die beiden Pickel sich nicht lange halten.

Gerötet meine Augen noch vom Pollenstaub,

mögen leuchtend mir entgegen schauen.

Ich muss wohl Rouge auflegen auf die fahlen Wangen,

für die Augenringe Camouflage.

Die zwei Pickel deck ich ab mit Puder.

Mein Spiegelbild gefällt mir jetzt bedeutend besser,

Es wünscht mir einen guten Tag.

 

Ein Kleid erzählt

Mein Umzug ruckt naher und ich sortiere fleißig, d.h.

Einpacken, Ausrangieren, Entsorgen, ab in die blauen Säcke

nach der Aschenputtelmethode: „Die guten ins Töpfchen, die

schlechten ins Kröpfchen!“

Was hat sich nicht alles in den Jahrzehnten angesammelt an

Dingen, die seinerzeit unentbehrlich waren, regelrecht

umkämpft wurden, ein unbedingtes MUSS, wie eine Trophäe

stolz all den lieben Leuten gezeigt, die ebenfalls auf Besitzer-

Jagd waren und beneidet um vielerlei modischen Schnickschnacks,

doch im Laufe der Zeit an Bedeutung verloren,

belanglos, uninteressant wurden, abgestellt in irgendeinem

Regal, Bodenschrank, unterste Schublade, oder in Kisten und

Kasten verstaut wie Containerfracht.

Auf meiner „Count-down“-Liste steht heute: „Kleine Kammer im

Flur durchforsten.“

Diesen Punkt schob ich sonst wieder und wieder ans Ende

meines Arbeitseinsatzes.

Doch heute bin ich irgendwie gut drauf. Motiviert lege ich

rechts von mir Dinge, die ich mitnehme, links von mir, die

einer genaueren Prüfung nicht standhielten.

Und so arbeite ich mich wie ein Erdhörnchen durch alle möglichen

Kartons, Verpackungen ehemaliger elektronischer oder

elektrischer Gerate, Umhüllungen von Bettdecken etc…

gestapelt, Platz sparend ineinander gesetzt mit neuem Inhalt

gefüllt.

Und plötzlich fallt mein Blick auf einen Luftkoffer, der hinter

all dem Krimskrams zum Vorschein kommt und den ich aus

seinem dunklen Dasein ans Licht ziehe. Er ist nicht leer, ich

spure es beim Vorziehen. Neugierig zippe ich den

Reisverschluss einmal fast herum. Ein flacher bunt bedruckter

Karton liegt darin, den ich sehr gespannt öffne. Ein Ausruf des

Erstaunens: In Seidenpapier umhüllt ziehe ich mein Kleid,

mein Abschlussballkleid heraus. Es existiert noch, tatsachlich,

mein Tanzstundenkleid, komplett mir entfallen, und wie eine

Zeitmaschine spult sich vor meinen Augen der Film

gemeinsam mit meinem Alter rückwärts.

1956 oder 1955, um diese Zeit wohl, oder? Ich schließe die

Augen, atme tief, sanft streiche ich über das Kleid. Ein

Wechselbad der Gefühle, ich erinnere mich, sehe mich am

Marktplatz an der Ecke zur großen Einkaufspassage, ein

bekanntes Konfektionsgeschäft meiner Heimatstadt und im

Schaufenster das Kleid meiner Traume, elegant drapiert an

einer Modepuppe, schulterfrei, toller Schnitt und die Farbe erst!

Zart lachsfarben der Ton, wunderbar zu meinem dunklen

Lockenkopf passend, meinte ich.

Und so war es auch. Auf dem Abschlussball fühlte ich mich

phänomenal! Mein Tanzstundenpartner flüsterte mir Komplimente

ins Ohr. Glücklich und auch etwas verliebt war ich in

den großen blonden Verehrer, er hieß Manfred, Schuler aus

meiner Parallelklasse. Unsere Freundschaft hielt noch lange.

Das lachsfarbene Ballkleid spurte seine Hände auf der Seide,

sie waren heiß wie unsere Herzen, und der Tanzrhythmus

jener Zeit: Foxtrott oder?

Immer noch in der Kammer sitzend überlege ich angestrengt,

wie es dem Kleid danach erging. Ich drücke mein Ballkleid

liebevoll an mich, spure den kühlen Seidentaft auf meinem

Gesicht. Herrliche Jugend, eine schöne Zeit, meine Gedanken

gehen auf Reisen.

Zurück aus den Traumen fallt mein Blick plötzlich auf einen

Fleck an der unteren Seite des Kleides. Wie ein roter Faden

aus dem Labyrinth räufelt sich das letzte Kapitel des Kleides

vor meinen Augen auf.

Die Studienzeit ging mit einem großen Fest zu Ende. Ich holte

mein Kleid, gut verpackt aus dem Kleiderschrank. Aus seinem

Dornröschenschlaf erweckt, freute ich mich, es wieder zu

tragen.

Und dann der Schreck, das böse Erwachen: Es geht nicht mehr

zu, der Reisverschluss klemmt, tiefstes Entsetzen: „Du passt da

nicht mehr rein, bist kein Teenager mehr!“

Und plötzlich weis ich es wieder, des Kleides Ende. Ich zog es

an, eingezwängt meine Taille wie in einem Korsett aus der

Rokokozeit, auch am Busen spannte der Stoff. Kritisch

betrachtete ich mich im Spiegel und dann? Dann goss ich mir

ein Glas Rotwein ein, ging zurück zum Spiegel, schaute

wehmütig auf mein so heiß geliebtes Traumkleid, das jetzt wie

eine dicke, pralle Leberwurst an meinem Körper hing. Keine

Eleganz, sondern …

Und da plötzlich musste ich lachen, laut loslachen, hob das

Glas, prostete meinem Spiegelbild zu, trank auf, ich weis nicht

mehr worauf, und begann über mich, über die komische

Situation so zu lachen, dass ein Tropfen oder wohl auch zwei

auf das lachsfarbene Ballkleid fielen.

In Seidenpapier gehüllt, in den bunt bedruckten Karton gelegt,

schlief mein Traumkleid einen langen, sehr langen Schlaf.

Ich werde es wohl mitnehmen … die guten ins Töpfchen.

 

Der Knutschfleck

In einer stürmischen Nacht ist er erwacht

Der Fleck  oh  Schreck

An einem Schwanenhals

Sie ist entsetzt  der Fleck muss weg

Ach hätt sie noch ihr langes Haar

Wie wahr  könnt sie verdecken mit

Puder ihn und Camouflage

Auch ein Tuch wär´s wert für ein´ Versuch

Man sieht ihn doch  so schnell lässt er sich nicht vertreiben

Er fühlt sich wohl  will gar nicht weichen

Soll´n sie ihn  doch alle sehen

Erinnerung an eine laue Sommernacht

Sie wird sich wiederholen

Dann den Kuss auf Schulter wow

Sie gut verdecken kann das Blau

Nun ist er weg  der Fleck

Sie ihn noch gerne einmal hätt den

F L E C K

 

AUF DER VERNISSAGE

Geladene Gäste stehen, die Gläser gefüllt, vor den Exponaten, diskutieren, gestikulieren, interpretieren, sinnieren, geben subtile Kommentare zur Plastizität im Fokus temporärer Kunst, laufen die Gänge auf und ab, lassen die Gläser sich wieder füllen, grüßen mit Küsschen rechts und Küsschen links ihre verspäteten Freunde. Small Talk wird gehalten, gewitzelt, gelacht, Verabredungen getroffen, gelästert, über allzu Privates geplaudert. Neuankommende bahnen sich ihren Weg zu den Exponaten, bleiben stehen, verweilen sublim, blättern in Katalogen, kleine Snacks und Getränke werden geboten. Durch die Räumlichkeiten, an den Exponaten vorbei, laufen sich selbstdarstellende Gäste im Pulk mit anderen Besuchern. Die Exponate hängen stumm. Je später der Abend, umso weinseliger die Gesellschaft. Der Fotograf hat gelungene Bilder im Kasten vom Panoptikum der Eitelkeit.